Hans Dieter Stöver; Michael Gechter

Report aus der Römerzeit

Stuttgart : Theiss, 1989;
Würzburg : Arena, 1994

(Zur Inhaltsangabe)

Bewertung

Bei der Beurteilung des Werks muß die durchgängige didaktische Absicht berücksichtigt werden, die auch auf die fiktiven Elemente durchschlägt, so bereits in der ersten Geschichte, wo lange Schilderungen des Lageraufbaus eher in den Sachteil passen würden. Die einzelnen Episoden bieten nur sehr knappe Handlungen und spielen zumeist im Laufe eines einzigen Tages. Dabei wird die umfangreiche Familiengeschichte, wie Stöver sie konstruiert hat, nur punktweise beleuchtet. Es ist aber gut möglich, daß der Autor weitere Verarbeitungen beabsichtigt hat; zumindest eine davon ist erschienen und schildert unter dem Titel Haldavo steigt auf (Köln: Bachem, 1990) eine in diesem Buch nicht behandelte Gestalt der Familie, den Vater des Kaufmanns Silvanus (siehe separate Rezension).

Obwohl im Vorspann zu jedem Abschnitt die vorangegangene Geschichte der Familie behandelt wird und sich die meisten der Gestalten (84!) auch im Personenverzeichnis wiederfinden, ist es nicht leicht, den verzweigten Stammbaum zu verfolgen. Die Beigabe eines regulären Stemmas wäre hier sehr hilfreich gewesen (freilich hätte es eine das Buch verteuernde Ausklapptafel erfordert). Wie bei einer so komplizierten Konstruktion nicht anders zu erwarten, finden sich einige Fehler, bei denen Text und Personenverzeichnis nicht zusammenpassen: so kann M. Secundinius Silvanus nicht schon 175 n. Chr. gestorben sein (S. 270; die Episode »Aufstieg« spielt 180 n. Chr.) und das Geburtsjahr von Secundinius Atto (S. 281) paßt nicht zur Geschichte »Ende oder Neuanfang«.

Die ganze Familiengeschichte zeigt eine geradezu kindliche Lust des Verfassers am Herstellen der Zusammenhänge (von ihm selbst S. 7 als »Generalstabsarbeit« bezeichnet). Er hat dabei für knapp die Hälfte der im Anhang aufgeführten Personen auf eine erhaltene Inschrift zurückgegriffen. Wie stark er sie jeweils uminterpretiert hat, könnte erst nach einer Prüfung der einzelnen Fälle beurteilt werden.

Die Familie der »Attonen« breitet sich über das ganze römische Germanien und Raetien aus und ist in den verschiedensten sozialen und wirtschaftlichen Bereichen tätig. Hier stellt sich die Frage, ob im beschränkten Rahmen eines einzelnen Buches, das aus zehn recht kurzen Episoden besteht, nicht etwas mehr Konzentration besser gewesen wäre. Insgesamt ist eine sehr positive Darstellung der Zeitumstände zu beobachten. Das ganze Buch ist eigentlich eine fortwährende Geschichte des Aufstiegs; richtig schlecht ergeht es keiner Figur; selbst die zeitbedingte größere Sterblichkeit und Anfälligkeit für Krankheiten erscheint in Stövers Gestaltung recht modern (wenn Silvanus einen Schlaganfall bekommt, erinnert dies an die Herzinfarkte, die man mit heutigen gestressten Managern verbindet). Diese mitunter ahistorische Sichtweise findet sich auch in anderen Werken Stövers.

Geradezu absurd ist vor allem die Darstellung oder besser Nicht-Darstellung der Sklaverei. Auch wenn sie (vor allem in den Provinzen) nicht, wie die orthodoxe marxistische Forschung meinte, die hervorstechendste Eigenart der römischen Gesellschaft war, kann man sie doch nicht so unterschlagen, wie dies Stöver tut. Ich kann mich nicht erinnern, daß das Wort »Sklave« im Buch einmal vorkommt; auf jeden Fall ist es äußerst selten und erscheint auch nicht im Sachindex.

Ein ähnlicher Einwand resultiert aus der Beobachtung, daß kaum Frauen in den Geschichten vorkommen. Die meisten Episoden zeigen Frauen lediglich als stumme dienstbare Geister, ob es nun formelle Dienerinnen oder Ehefrauen sind (drastisch S. 158, wo ganz zum Schluß der Episode zum einzigen Mal das »Weib« des Gerbers Crescentius erwähnt wird). Und auch da, wo tatsächlich einmal weibliche Personen Dialogtext haben (in: »Die Barbaren kommen« oder der letzten Episode), bleiben sie Nebenfiguren. Gleiches trifft auch für das Stemma zu, bei dem Stöver der attonischen Familie durchweg nur in der männlichen Linie folgt – die Töchter sterben oder heiraten weg und spielen dann keine Rolle mehr. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Umstand, daß unter den inschriftlich belegten Gestalten die Frauen deutlich überwiegen (es werden 36 Inschriften genannt, die als Belege für 14 Männer und 27 Frauen dienen). Mit dem vorliegenden Material hätte Stöver also durchaus mehr machen können. Freilich hat der Autor auch in seinen sonstigen Werken gezeigt, daß er es nicht vermag, lebensnahe Frauengestalten zu schaffen.

Stövers Eigentümlichkeiten (um das harsche Wort von mangelnden Fähigkeiten zu vermeiden) als Schriftsteller werden auch sonst deutlich. So sind seine Gestalten sprachlich kaum differenziert. Besonders auffällig ist der abgehackte Kommandoton, der das Subjekt der Sätze wegläßt und den nicht nur Militärs im Munde führen, sondern (S. 102) auch ein Mosaizist und schließlich sogar der Erzähler selbst. Nach zehn hanebüchenen C.V.T.-Krimis, in denen die Gestalt des Alexander solche Redewendungen im Mund führte, konnte Stöver sich anscheinend keinen anderen Stil mehr angewöhnen.

Der von Michael Gechter verfaßte Sachteil, der die bei Stöver sonst üblichen Fußnoten ersetzt, soll hier nicht Gegenstand der Kritik sein. Er wirkt auf jeden Fall recht solide und auf aktuellem Forschungsstand (die Verweise auf die jüngsten Grabungen in Kalkriese können erst in der Überarbeitung für die Taschenbuchausgabe eingefügt worden sein). Auch in den fiktiven Teilen sind eklatante sachliche Versehen nicht zu beobachten (freilich wirkt es übertrieben, wenn S. 118 die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, als nützlich für den raschen Aufstieg eines Centurionen genannt wird; zumindest theoretisch sollten alle Legionare literat sein, und daß dieser Anspruch nicht völlig an der Wirklichkeit vorbei ging, belegen neben Papyri aus Ägypten z. B. die bekannten Vindolanda-Tafeln mit schriftlichen Hinterlassenschaften von Auxiliarsoldaten am Hadrianswall).

Der enzyklopädische Anspruch des Werks, einen abgerundeten Überblick über die Römer in Germanien zu bringen, zeigt sich auch im Stichwortregister (S. 284-287), das nach Sachgebieten geordnet ist. Es macht deutlich, daß die meisten wichtigen Aspekte abgehandelt werden; allerdings fehlt außer der Sklaverei auch ein wichtiger Begriff wie »Limes« offenbar sowohl im fiktiven als auch im Sachteil.

Abschließend bliebe zu fragen, ob das Buch seinen angestrebten Zweck erfüllt, nämlich auf unterhaltsame Weise eine Einführung in die Römerzeit auf deutschem Boden zu geben. Hier kann aus der Perspektive des Fachwissenschaftlers allein keine definitive Antwort gegeben werden; es müßte vielmehr die Wirkung beim intendierten Leserkreis untersucht werden (in der Hardcoverausgabe wohl eher Erwachsene, z. B. der Leserkreis der im selben Verlag erscheinenden Zeitschrift Archäologie im Deutschland, während die Taschenbuchausgabe eindeutig für junge Leser bestimmt ist; eine Werbung für die erwähnte Zeitschrift findet sich allerdings auch hier). Dabei wäre auch ein Vergleich mit ähnlichen Werken jüngerer Zeit sinnvoll, vor allem dem Begleitband zur Fernsehserie Der Sklave Calvisius von A. Ammermann, T. Röhrig und G. Schmidt (Niederhausen: Falken, 1979, siehe Rezension) und Tilmann Bechert, Marcus der Römer: Ein historisches Lebensbild aus dem römischen Xanten (Gummersbach: Gronenberg, 1985). Beide verbinden wie Stöver/Gechter eine fiktive Handlung mit Abbildungen und Sachinformationen.

Diese im Regelfall solide Gestaltung der Antiquaria macht den Report aus der Römerzeit denn auch insgesamt durchaus zu einer brauchbaren Einführung für den Laien, wenn er sich mit den erwähnten stilistischen Besonderheiten abfindet und das Fehlen von Frauen und Sklaven hinnimmt.

Inhalt

In zehn Episoden wird das Leben einer Familie im römischen Germanien von der augusteischen Zeit bis in die Spätantike verfolgt. Geographischer Bezugspunkt ist die ausgegrabene Villa rustica von Rheinbach-Flerzheim, in der die ganze Zeit hindurch ein Zweig der Familie ansässig ist.
(Jedes erzählende Kapitel wird von einem Abschnitt mit Sachinformationen gefolgt.)

»Atto der Späher«

Der Ubier Atto dient als Kundschafter im Heer des Germanicus. Er findet heraus, daß die Germanen sich am Angrivarierwall verschanzt haben, und meldet dies der römischen Führung, nämlich dem (von ihm ungeliebten) Flavus, dem romtreuen Bruder des Arminius, dem Centurio Caelius (dessen Bruder in der Varusschlacht gefallen ist) und schließlich dem Oberbefehlshaber selbst. Aus einem Brief des Caelius an seinen in Oberitalien lebenden Bruder erfahren wir, wie die Römer die Schlacht gegen die Germanen gewannen.

»Der Hof«

Der in Raetien stationierte Auxiliarsoldat Friannius besucht im Jahr 85 n. Chr. den Gutshof seiner Familie am rheinischen Vorgebirge. Er wird von einem Fuhrwerk bis Tolbiacum mitgenommen, wo er die mansio aufsucht, und dann von einem Bauern zum vicus Belgica. Sein Bruder Freiatto und dessen Familie nehmen den nach langem Kriegsdienst Heimgekehrten freundlich auf. Friannius möchte sich seinen Anteil am Hof auszahlen lassen, um sich nach seiner Entlassung selbst anderswo niederzulassen.

»'Ad Scutum Dacorum' - Zum Dakerschild«

Der Centurio Attonianus kehrt im Jahr 128 n. Chr. zu Schiff von Argentorate nach Moguntiacum zurück. Er sucht die in den Canabae gelegene Kneipe seines Bruders Romanus auf, wo er mit Kameraden zusammensitzt und eine Schlägerei beendet.

»Aufstieg«

Im Jahr 180 n. Chr. hat der Kaufmann Secundinius Silvanus einen Schlaganfall. Während er sich allmählich erholt, besichtigt sein Sohn Severus die Baustelle des zukünftigen Hauses der Familie, das im vornehmsten Viertel der CCAA liegt und mit allem Wohnluxus ausgestattet wird, auch einem Mosaik. Mit dem Töpfer Verecundus, seinem zukünftigen Schwager, vereinbart Severus eine Kooperation für den Handel mit schwarzer Glanztonkeramik und Reibschalen nach Britannien.

»Im Lager der Legion«

Der greise Veteran Attonianus besucht (in selben Jahr 180 n. Chr.) seinen Sohn im Legionslager Argentorate. Aeternus soll bald zum Primus pilus befördert werden. Nachdem die beiden die Bestrafung eines Legionars wegen Diebstahls angesehen haben, läßt Aeternus seinen Vater, der an Hustenanfällen leidet, von einem Legionsarzt behandeln und führt ihn zum Mithraeum vor dem Lager, das den alten Attonianus sehr beeindruckt.

Mithraeum in Ostia
Mithraeum in Ostia
Photo: Cillian O'Hogan; Quelle: flickr, Lizenz: CC-BY-NC-ND

»Ruhe vor dem Sturm«

Der Lederhändler Sererius besucht im Jahr 234 n. Chr. seinen Lieferanten, den Gerber Crescentius in Lopodunum. Die beiden unterhalten sich über die Geschäfte (die nicht mehr so gut gehen), vor allem aber über den Alemanneneinfall vom Vorjahr. Sererius wurde Zeuge, als die Bewohner einer villa rustica in Raetien bestialisch ermordet wurden.

»Die Barbaren kommen«

Wegen des befürchteten Einfalls der Franken werden im Jahr 275 n. Chr. die Kinder vom Gutshof in die CCAA evakuiert. Im Haus des Händlers Vitalis treffen sich einige Familienangehörige, um über die unsichere Lage zu beraten. Eine Küchenmagd erzählt dem vom Land kommenden Knecht Galenus, wie sie als Kind einen Angriff der Franken auf Gelduba überlebt hat. Etwas später zerstören die Germanen den Gutshof bis auf den kurz zuvor errichteten Burgus.

»Zu Ehren des Kaisers«

Der alte Rhetor Eumenius wird im Jahr 311 n. Chr. in Trier vom hohen Verwaltungsbeamten Rufinus zu sich bestellt. Er muß jedoch erfahren, daß Rufinus nicht seinen Panegyricus auf den Kaiser ausgewählt hat, sondern den seines jungen Schülers Iulius Ausonius. Rufinus, der von seinem entfernten Verwandten Desiderius um Auskunft über die militärische Lage gebeten wurde, antwortet ihm, daß die Anstrengungen Constantins wieder für Sicherheit in den Rheinlanden sorgen würden.

Basilica in Trier
Basilica in Trier
Photo: bsktcase; Quelle: flickr; Lizenz: CC-BY-NC-SA

»Mithras und Christus«

Auf der Reise in den Perserkrieg Iulians (362 n. Chr.) besucht der hohe Offizier Calvio seinen Verwandten Victorianus in Augusta Vindelicorum. Die beiden alten Männer führen ein langes Streitgespräch über die Religion - Calvio ist Christ, während Victorianus bei Regierungsantritt des Kaisers wieder seinen alten Mithras-Glauben angenommen hat und als Priester die neue Religionspolitik Iulians verficht.

»Ende oder Neuanfang«

Auf dem Gutshof der Familie lebt im Jahr 420 n. Chr. der alte Secundinius Atto mit seiner Tochter Blanda und ihrem Mann Fugilo, einem Franken. Während er mit Fugilo nicht gut auskommt, ist sein Enkel Atto sein ganzer Stolz. Einige Jahre nach dem Tod Attos gibt die Familie die Villa auf und zieht in die Nähe der Festung Tolbiacum.

5. November 1999: Erstveröffentlichung
2. Januar 2007: Bilder, Abschnitte umgestellt