Reinhold Bahmann

Am Römerwall : geschichtliche Erzählung von der Saalburg

Dresden, Leipzig : Köhler, 1904.

(Zur Inhaltsangabe)

Bewertung

Das Jugendbuch Bahmanns zeichnet im Gegensatz zu vielen anderen Werken über dieses Thema ein sehr harmonisches Bild von der römischen Herrschaft in Germanien. Dabei verzichtet er keineswegs auf die genre- und zeittypische Germanentümelei, hier noch verstärkt durch die ständige Gleichsetzung von »germanisch« und »deutsch«. Bei den Germanen ist es vor allem die Freiheit, die immer wieder hervorgehoben wird (z. B. 173). Dabei nimmt der Autor auf die Wahrscheinlichkeiten wenig Rücksicht; davon abgesehen, daß die Vindelicer überhaupt keine Germanen waren, sondern ein keltisches Volk, ist ein germanischer »Musterhof« wie der Luitgers im Raetien des zweiten Jahrhunderts kaum vorstellbar.

Die Römer kontrastieren mit diesem Idealbild der bodenständigen Germanen (bei aller Betonung des Erbrechts des Erstgeborenen [S. 182] hat Bahmann übrigens vergessen, daß Luitger ja auch der jüngere Sohn war) vor allem als Zivilisationsbringer. Daß sie dabei die germanische Freiheit einschränken, wird festgestellt, ihnen aber nicht zum Vorwurf gemacht; die Vertreter beider Völker wirken gleichermaßen edel (und sind ebenso aufgeschlossen für das Christentum, dessen Attraktivität quasi vorausgesetzt wird). So entsteht eine sehr friedfertige Atmosphäre, in der auch die Konflikte, die in der Handlung auftreten (zwischen Ludolf und Liutprand, zwischen dem Chatten Walter und den Römern) sofort beigelegt werden, während andere mögliche Reibungspunkte (zwischen Luitger und Claudius, zwischen Armgard und Waltrud) völlig ignoriert werden.

Seine Motivation hat der Autor in einem Vorwort zur 1908 erschienenen 2. Auflage erläutert, wo er beklagt, daß die Römer bisher meist als »die herrschsüchtigen Unterdrücker der germanischen Freiheit« (S. 1) dargestellt worden seien. Erst die Ausgrabungen am Limes, am Rhein und der Lippe hätten die große Bedeutung gezeigt, »die die Zeit der Römerherrschaft für unser deutsches Volk gehabt« habe (S. 2). Bahmann wollte die Römer deshalb »als die erfahrenen Lehrmeister der gelehrigen Germanen« zeigen und zugleich die Ergebnisse der Ausgrabungen bekanntmachen.

Reinhold Bahmann (9.5.1859–nach 1937) war Lehrer im sächsischen Hainichen und verfasste mehrere Jugendbücher historischen Inhalts (von der Antike bis ins 19. Jahrhundert). Er hat in An der römischen Grenzmark (1891) auch eine frühere Epoche der römisch-germanischen Auseinandersetzung dargestellt, die Zeit von Caesar bis zur Varusschlacht. Dort werden die Römer stärker mit dem französischen »Erbfeind« identifiziert und – wie er selbst 1908 beklagt, ohne aber auf sein eigenes Werk zu verweisen – als »Unterdrücker der germanischen Freihet« und »grausame Tyrannen« dargestellt.

Die Handlung wirkt angesichts dieser Absichten erwartungsgemäß recht banal und ist eigentlich eher ein Vorwand, zahlreiche antiquarische Einzelheiten vor dem Leser auszubreiten. Dies führt so weit, daß ein beträchtlicher Teil des Buches aus der Erzählung des Claudius von seinen Erlebnissen besteht, in der alles vorkommt, was nun einmal zu einem Römerroman gehört, sich beim besten Willen aber nicht nach Raetien oder an den Limes verpflanzen ließ: der jüdische Krieg mit der Eroberung Jerusalems, das frühe Christentum und seine Verfolgung, der Ausbruch des Vesuv, die Kaiser Titus und Domitian, Gladiatorenkämpfe. Anderes hat Bahmann direkt in die Handlung integriert: römisches Militär, Straßen- und Städtebau, schließlich auch die beiden Kaiser Traian und Hadrian, deren Besuche in Raetien oder am Limes aber reine Fiktion sind; Traian war nach seiner Erhebung zum Kaiser nicht mehr am Rhein, und Raetien war auch nicht die Provinz, in der er »als Legat die Berufung zum Kaiser empfangen hatte« (S. 163). Hadrian dagegen war immerhin im Jahr 121 n. Chr. in Germanien, ein Besuch der Saalburg oder des Limes generell ist aber nicht belegt. Doch wie bei anderen Autoren (Blümlein, Spielmann) sollte eben unbedingt ein römischer Herrscher das Kastell besuchen, dem die Aufmerksamkeit Kaiser Wilhelms II. galt. Übrigens traf die Charakterisierung Hadrians »Er liebte es, seine Beamten zu überraschen« (S. 217) in gewisser Weise auch auf das persönliche Regiment des letzten Hohenzollern zu.

Auch andere antiquarische Einzelheiten sind nicht korrekt:

Dem Werk sind sechs Illustrationen des Historienmalers Rudolf Trache (* 7.9.1866) beigefügt, u. an eine Rekonstruktionszeichnung der Saalburg gegenüber der Titelseite.

Die Saalburg ist nur in einem relativ kurzen Abschnitt der Schauplatz des Romans; aufgrund ihrer großen Bekanntheit bei den Zeitgenossen haben Autor und/oder Verleger sich aber nicht gescheut, ihren Namen in den Titel zu setzen. Die Schilderung des Kastells und seines Umfeldes entspricht den zeitgenösssischen Erkenntnissen. An einer Stelle bezieht sich Bahmann ganz ausdrücklich auf aktuelle Forschungen, nämlich in einer Fußnote bei der Erwähnung des Mithraeums: »Spuren des Mithräums vor der Saalburg sind im Januar 1903 ausgegraben worden.« (S. 258)

Während viele andere Autoren sich dem Untergang der Saalburg zugewandt haben (Blümlein, Spielmann, Grolman, Randow) oder sie in ihrer Blüte zu Beginn des 3. Jahrhunderts vorführen (Hartmann, Redern), zeigt Bahmann sie in ihrer Frühphase.

Weitere Meinungen

Hermann Bock, Karl Weitzel: Der historische Roman als Begleiter der Weltgeschichte : ein Führer durch das Gebiet der historischen Romane und Novellen. – Leipzig: Hachmeister & Thal, o. J. [1921/1922]. – S. 37:

»Der Verf. will die Römer nicht einseitig schildern als herrschsüchtige Unterdrücker germanischer Freiheit und Zerstörer dessen, was germanischer Fleiß mühsam aufgebaut, sondern als erfahrene Lehrmeister, die auf germanischem Boden Städte anlegten, Straßen, Kanäle, Befestigungswerke bauten, die Germanen in mancherlei Künsten und Handwerken unterrichteten und sie dadurch einer höheren Kulturstufe zuführten. Im einzelnen sich genau an die Ergebnisse der Ausgrabungen und der Limesforschung haltend, läßt er uns an der Hand einer fesselnden Erzählung die Anlage römischer Kastelle und Städte und das Leben und Treiben in denselben schauen. So entsteht ein anschauliches Bild römischer Kultur in der Kaiserzeit.«

Inhalt

1. Nahe der Mündung der Isar in die Donau, im von den Römern eroberten Vindelizien, wohnt der freie germanische Bauer Luitger, der an der Art seines Volkes festhält und insgeheim hofft, daß einst »die stolze Römerherrschaft in Trümmer sinken und der deutsche Bauer frei auf seiner Scholle schalten und walten werde.« (S. 8) Für die beiden Söhne Luitgers mit seiner Frau Armgard hat der Knecht Gundomar eine Zielscheibe gemacht, auf der ein Römer dargestellt ist. Der Markomanne Gundomar hat einst an einem Überfall auf Luitgers Anwesen teilgenommen und ist verwundet gefangen worden. Luitger erinnert sich an seinen Bruder Ludolf, von dem er seit langen Jahren nichts gehört hat. Nach dem Tagwerk speist Luitger mit seiner Familie und dem Gesinde in der großen Halle seines Hofes.

2. Als römischer Centurio Claudius Vindelicus kehrt Ludolf nach vierzig Jahren zum Hof seines Bruders zurück. Zur Feier seiner Rückkehr lädt Luitger auch die Nachbarn Ivo, Bardolf und Odo ein.

3. Claudius erzählt, wie er, gerade ins römische Heer eingetreten, am Bürgerkrieg zwischen Otho und Vitellius teilnahm und mit den germanischen Legionen nach Rom zog. Dort mußte er sich später vor den Truppen des siegreichen Vespasian verbergen und ging mit seinem Kameraden Lucius nach Palästina, wo römische Truppen das aufständische Jerusalem belagerten. Claudius nahm an der blutigen Erstürmung der Stadt teil. Als die Römer kurz davor waren, in den Tempelbezirk einzudringen, erzählte einer der Centurionen, wie er auf einem Botengang am Jordan verletzt wurde; eine Gemeinschaft von Anhängern des Jesus von Nazareth nahm ihn auf und versorgte ihn. Ihr Anführer Simon Judas sagte den Untergang des jüdischen Tempels voraus.

4. Beim Sturm auf den Tempel geriet dieser in Brand, und Claudius konnte unter großer Gefahr den siebenarmigen Leuchter retten und dem Feldherrn Titus zu Füßen legen.

Als er mit seiner Geschichte zu Ende ist, bemerkt man, daß Luitgers Söhne Ludolf und Luitprand heimlich der Erzählung des Onkels gelauscht haben, obwohl ihr Vater sie eigentlich schon ins Bett geschickt hat.

5. Claudius erzählt später weiter: Er blieb im Militärdienst in Rom und wurde von Titus zum Centurio befördert. Als der Vesuv ausbrach, konnten die Eltern seines Freundes Lucius sich aus Pompeji retten und nach Rom ziehen. Zusammen mit Lucius besuchte Claudius, als schon Domitian herrschte, eine Veranstaltung im Kolosseum, wo nach Gladiatorenkämpfen eine Tierhetze stattfand, bei der ein germanischer Auerochse über einen numidischen Löwen siegte. Dann wurden Christen zur Hinrichtung durch wilde Tiere geführt, und einer von ihnen konnte vor seinem Tod den Kaiser mahnend anrufen. Es war der Vater des Lucius, der sich kürzlich der Christengemeinde angeschlossen hatte.

6. Als ein Gewitter losbricht, müssen alle ins Haus gehen, wo Claudius mit seiner Erzählung fortfährt: Weil die Chatten immer wieder gegen die römischen Siedlungen am Rhein vordrangen, brach Domitian zu einem Feldzug gegen sie auf. Claudius und Lucius nahmen in der 21. Legion daran teil und marschierten mit dieser in den Taunus, um die Bergfestungen der Chatten zu erobern. Auf dem engen und feuchten Paßweg erinnerten sich die Legionare mit Bangen an das Schicksal des Varus, doch der Legat konnte sie wieder an die Pflicht erinnern. Einen Ringwall an der Paßhöhe erstürmte die Legion in erbittertem Kampf, und dann nahm sie auch die anderen Bergfestungen ein. Claudius und Lucius blieben in Germanien und wirkten mit, den römischen Grenzwall, den Limes, gegen die Germanen zu errichten. Es war ein Wall, gesichert durch Wachtürme und Kastelle, von denen eins auf der Paßhöhe im Taunus errichtet wurde. Als Claudius und Lucius ihren Abschied erhielten, blieben sie auf einem kleinen Landgut in der civitas Taunensium, und Claudius fand jetzt endlich Zeit, seine Familie aufzusuchen. Diese bittet ihn, für immer zu bleiben, doch Claudius will zumindest einen Teil des Jahres unter Römern und bei Lucius verbringen. Er sagt aber zu, für einige Zeit im Sommer in seiner Heimat zu bleiben.

7. Nachdem sich Claudius seine Centurionenuniform hat schicken lassen, geht er nach Castra Regina und nimmt seine Neffen mit, die die Römerstadt noch nie gesehen haben. Auf dem Weg zeigt er ihnen die Segnungen des römischen Straßenbaus, aber Luitprand ist nicht begeistert. In der Stadt sucht Claudius die Wohnung des Legaten auf und wird mit den beiden Knaben vorgelassen, auch wenn der Legat Marcus Caelius schon anderen Besuch hat. Wie sich herausstellt, ist es der Kaiser Traian, der sich noch gut an seinen ehemaligen Offizier Claudius erinnert. Dann geht Claudius mit seinen Neffen zum Centurio Fulvius, der die Posten an der Donau kommandiert und schon öfter auf dem Hof Luitgers zu Gast war. Claudius trifft einen Syrer, dem er in Palaestina eine Nachricht an die Heimat mitgegeben hat, die dort nie ankam, und stellt ihn zur Rede. Als die drei wieder zurückwandern, ist Ludolf begeistert von der Macht des römischen Militärs, während sein Bruder Luitprand lieber an der Freiheit der Germanen festhalten möchte.

8. In den folgenden Jahren kommt Claudius zur Sommerszeit zum Hof seines Bruders zurück, auch in Begleitung von Lucius, dessen freundliches, sanftes Wesen ihn sehr beliebt macht. Als Ludolf und Luitprand herangewachsen sind, gehen sie im Winter mit Gundomar auf die Jagd, um einen Juleber zu erlegen. Dabei wird Luitprand von den Eberhauern verletzt.

9. Luitprands Bein wird lahm bleiben, und Ludolf entschließt sich, in den römischen Kriegsdienst zu treten, obwohl er als ältester Sohn der Hoferbe ist, um so seinem Bruder den Hof zu überlassen. Die beiden Centurionen raten ihm, in eine Auxiliarcohorte einzutreten, und so bricht Ludolf mit einem Empfehlungsschreiben seines Onkels im Herbst auf, um entlang des Limes nach Norden zu wandern. In Aquae Mattiacae meldet er sich bei Gaius Mogillonius Priscanus, dem Praefekten der 2. Raetercohorte, und schwört dem Kaiser Hadrian den Treueid.

10. Zwei Jahre später ist Ludolf mit einem Teil der Cohorte im alten Erdkastell auf dem Taunuspaß stationiert. Dort begegnet er eines Tages einem Wanderer, dem er vom schlechten Zustand des Kastells erzählt. Es ist niemand anderes als Kaiser Hadrian, der sein ganzes Reich bereist. Er besichtigt das Lager und ordnet dann an, das Kastell auszubauen und die ganze Raetercohorte dorthin zu verlegen. Auch Arete, die aus Griechenland stammende Frau des Mogillonius, zieht in eine neuerbaute Villa am Kastell. Sie hängt wie Lucius dem christlichen Glauben an. Der Praefect hat aufgrund des für ihn gut verlaufenen Kaiserbesuches einen Weihestein für Fortuna gelobt und läßt ihn jetzt anfertigen.

11. Während das Leben im und am Kastell aufblüht, wird Ludolf zum Optio befördert. Es gelingt ihm, den gallischen Händler Satto zu überführen, der heimlich Waffen und Goldschmuck zu den Chatten schmuggelt. Als die Nachricht kommt, daß ein Chatte den betrügerischen Satto erschlagen hat, muß Mogillonius wohl oder übel den Totschlag an einem römischen Bürger bestrafen, doch will er dies so mild wie möglich machen, um die Chatten nicht zu reizen. Tatsächlich gelingt dem Chatten Walter mitsamt Sohn und Tochter die Flucht, unterstützt von Ludolf. Lucius liegt im Sterben und läßt Ludolf zu sich rufen. Er vererbt ihm seine nicht unbeträchtlichen Ersparnisse und seine christlichen Schriften.

12. Claudius kehrt auf Anraten seines Neffen in die Heimat zurück, doch Ludolf selbst fühlt sich jetzt einsam. Er besucht heimlich den wiederaufgebauten Hof Walters, wo er, besonders von der Tochter Waltrud, freundlich empfangen wird. Die Lektüre der geerbten Schriften hat Ludolf zum Christen werden lassen. Als Claudius berichtet, daß Luitprand über seiner Verkrüppelung verbittert sei und nicht geheiratet habe, beschließt Ludolf, aus dem Militärdienst auszuscheiden, um Waltrud zu freien und wie Claudius in die Heimat zurückzukehren. So geschieht es auch, obwohl er gerade zum Centurio befördert werden soll. Mit seiner chattischen Frau reitet Ludolf zum elterlichen Anwesen, wo über seine Rückkehr große Freude herrscht, auch bei Luitprand, der seinem älteren Bruder bereitwillig den Hof überläßt.

13. Neben dem alten Haus wird ein neues erbaut für Luitprand und Claudius, auf dessen Vorschlag auch eine neue Befestigung nach römischem Vorbild um den Hof angelegt wird, denn der alte Centurio weiß, daß unruhige Zeiten bevorstehen. Und tatsächlich sinkt später das Kastell am Taunus in Trümmer.

»Erst unserer Zeit blieb es vorbehalten, die Trümmer jenes Kastells zu erforschen und es in der Gestalt wiederherzustellen, die es einst zur Zeit der Römer gehabt hatte. Die wieder neu errichtete Saalburg droben auf der Höhe des Taunus soll uns zeigen, welch eine Meisterschaft in der Befestigungskunst das Volk besessen, das einst einen großen Teil deutschen Landes unterworfen und fast drei Jahrhunderte im Besitz behalten konnte. |

In jenem Hofe im Isargau aber wuchs in den Nachkommen Luitgers und Ludolfs ein neues Geschlecht heran von gutem germanischen Kerne, das vom römischen Wesen manches Gute übernahm, während es das Böse klüglich zu meiden wußte, weil es sich zur neuen Lehre hielt, zur Lehre von Christo, dem Gekreuzigten und Auferstandenen.« (S. 279-280, Schluß)

7. Oktober 2007: Erste Veröffentlichung.