Hans Dieter Stöver

Tödliche Dosis

München : Knaur, 1986.

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Inhalt

Rom, 13. Dezember 50 v. Chr.: Der angesehene Arzt Athenodorus bricht zu seinen morgendlichen Krankenbesuchen auf. Besonders ein Patient bereitet ihm Sorge, der reiche Ritter Aulus Gellius, der seit langer Zeit dahinsiecht und sich jetzt in kritischem Zustand befindet, ohne daß Athenodorus die Krankheit diagnostizieren kann. Von C. Hortensius Hortalus wird Athenodorus am Abend zu einem Besuch nach Tusculum gebeten; Hortensius (der frühere Ehemann von Gellius' Frau Calpurnia und Vater ihrer Tochter Hortensia) berichtet dem Arzt von seinem Verdacht, vergiftet zu werden. Nach seiner Rückkehr konsultiert Athenodorus im Fall des Gellius seinen Kollegen Themison, weil er jetzt befürchtet, daß Gellius ebenfalls vergiftet wird. Zu Hause empfängt Athenodorus einen anonymen Drohbrief, der die rätselhafte Erkrankung seiner Frau erklärt: der Unbekannte droht, sie wie Gellius und Hortensius langsam zu vergiften, wenn Athenodorus weiterhin Gellius behandelt. Athenodorus ist so beunruhigt, daß er den ihm von früher bekannten Aedil Gaius Volcatius Tullus noch am selben Abend aufsucht, um ihn um Hilfe zu bitten.

14. Dezember: Volcatius, seine Freunde Selenus und Cornificius sowie sein Freigelassener Alexander halten Rat, was sie unternehmen sollen. Der Arzt Themison erscheint bei ihnen und erzählt von seinem Verdacht (den er Athenodorus gegenüber nicht geäußert hat), daß Gellius vergiftet wird. Als Athenodorus mittags nach Hause kommt, erfährt er, daß Gellius gestorben ist. Auch erhält er einen weiteren Drohbrief, sich nicht weiter um die Angelegenheit zu kümmern. Volcatius wird von Hortensia um ein Gespräch gebeten. Sie äußert ebenfalls den Verdacht, daß ihr Stiefvater vergiftet wurde und bittet Volcatius um Hilfe. Selenus legt dar, wie Gellius mit Konion (Schierling) und Aconitum (Eisenhut) vergiftet worden sein könnte. Er will einen ihm bekannten Händler aufsuchen, der auch Drogen aus dem Osten importiert. Volcatius wird von Calpurnia, der Frau Caesars und Cousine der Witwe des Gellius, zu sich in die domus publica gebeten. Calpurnia ersucht Volcatius um schnelle Aufklärung des Falls. Alexander und Archelaos, ein weiterer Freigelassener des Volcatius, treffen in einem Lokal ihren alten Bekannten, den Schuster Loco; er nennt ihnen die Namen von Drogenhändlern. Am Argiletum finden die beiden die Händler Menippos und Theokritos, die sich bei Nennung von Aconitum und Athenodorus verdächtig benehmen. Selenus und Cornificius suchen den Orient-Händler Eudoxos auf. Nach seinen Angaben muß das Aconitum wohl auf schnellen (Kriegs?-)Schiffen aus dem Osten nach Italien geschmuggelt worden sein. Die Volcatier halten Rat und planen für den nächsten Tag.

15. Dezember: Alexander und Archelaos werden zu Erkundigungen nach Ostia geschickt. Volcatius trifft bei Caesars Frau deren Verwandte Calpurnia. Volcatius erhält von Calpurnia einen Brief ihres Mannes Caesar. Er besucht das Haus des Gellius, wo die Trauerfeierlichkeiten im Gange sind, und beobachtet einen Streit zwischen Hortensia und ihrem Verlobten Plautius Rufus. Alexander kehrt zurück; er trägt seinem Patron einen Plan für einen Botendienst vor.

16. Dezember: Am Abend suchen die Volcatier die Lagerschuppen des Eudoxos jenseits des Tiber auf. Dort finden sie den Händler Menippos ermordet auf. Eudoxos mit seinen Leuten stößt dazu. Eine der Kisten, in denen er Giftstoffe aufbewahrt, ist geöffnet worden.

17. Dezember: Volcatius besucht mit Cornificius den Händler Theokritos, der vom Tod seines Kollegen und Nachbarn Menippos angeblich noch nichts weiß. Die beiden suchen dann das Vaterhaus des Volcatius auf, wo Selenus Giftversuche an Affen durchführt. Volcatius besucht auf Anraten seines Vaters Pompeius, um ihn über Eudoxos zu befragen. Alexander und Archelaos belauschen eine Streit zwischen Theokritos und einem Unbekannten. Hortensia warnt Volcatius, daß Eudoxos in Gefahr sei; man kann ihn gerade noch aus der Hand des Plautius Rufus befreien (der es auch war, der den Streit mit Theokritos hatte). Eudoxos erzählt, daß Plautius (den er angeblich nicht kannte) ein Empfehlungsschreiben des Theokritos brachte; Alexander hält es für gefälscht. Plautius wird verhört: er gibt an, daß Eudoxos und Skamandros, der Sekretär des Gellius, mit dem Mord zu tun haben. Plautius wird freigelassen, aber beschattet. Der unbekannte Giftmörder tötet die Versuchsaffen des Selenus. Plautius trifft sich auf einem Boot im Tiber mit Komplizen.

18. Dezember: Am Abend läßt Volcatius das Tiberufer weiträumig überwachen. Plautius besteigt wieder ein Boot und trifft sich flußabwärts in einer Hütte mit Skamandros. Sie geraten in Streit; Alexander und Volcatius greifen ein, alle vier werden von Unbekannten überwältigt. Volcatius kommt im Haus der Calpurnia zu sich, die ihn angeblich gerettet hat. Skamandros soll tot sein. Volcatius beschließt, allen Verdächtigen (Hortensius, Calpurnia, Plautius, Eudoxos und Theokritos) einen fingierten Brief zu schicken, um den Täter aus der Reserve zu locken. Eudoxos und Theokritos brechen zum Tiberufer auf. Volcatius mit seinen Leuten folgt ihnen und findet in der schon bekannten Hütte den gefesselten Skamandros. Auf einem Prunkboot im Tiber stoßen die Volcatier auf einen Kampf: sie nehmen Theokritos gefangen, während Plautius entkommt. Sie befreien Eudoxos, der den Verdacht äußert, daß sein Verwalter in die Sache verwickelt ist. Man zieht zum Haus des Gellius, wo nur die verstörte Hortensia ist, die nicht weiß, wo sich ihre Mutter befindet. Sie hat beobachtet, daß Skamandros nach dem Tod ihres Stiefvaters das Gift beseitigt hat. Weiter geht es zum Haus des Plautius, der untergetaucht ist. Es findet sich aber eine Nachricht, die ihn zum Schiff rief, zu dem denn auch alle gehen. Hier finden die Volcatier Plautius und Calpurnia vor, die gemeinsam Selbstmord begangen haben. Der anwesende Eudoxos, von früher her mit Calpurnia befreundet, erklärt die Zusammenhänge: Plautius und Calpurnia hatten seit längerer Zeit ein Verhältnis. Theokritos, der unter anderem Namen bereits dem berüchtigten Verres als Giftmischer gedient hatte, erfuhr durch seinen ehemaligen Sklaven Skamandros davon und bot seine Dienste an, um Gellius durch eine schleichende Vergiftung zu beseitigen. Als Athenodorus dies zu vereiteln drohte, sollte er eingeschüchtert werden.

19. Dezember: Alexander und Archelaos erhalten von Eudoxos zum Dank dafür, daß sie sein Leben gerettet haben, eine Meerkatze und einen sprechenden Papageien zum Geschenk.

Bewertung

Unter den allesamt nicht gerade begeisternden Volcatius-Krimis von Stöver ist dies vielleicht der schlechteste. Der Plot knarrt an allen Ecken und Enden und soll hier nicht in aller Ausführlichkeit zerlegt werden. Vor allem die Chronologie darf man nicht scharf betrachten. So erhält Volcatius einen Brief Caesars (S. 127-128), in dem dieser auf den Fall des Gellius Bezug nimmt, obwohl Volcatius erst am Vortag die Ermittlungen aufgenommen hat und Caesar sich in Ravenna befindet! Dies ist das deutlichste Beispiel dafür, daß Stöver sich nicht immer von modernen Mobilitäts- und Kommunikationsformen lösen kann (vgl. auch die mehrmaligen kurzen Abstecher nach Tusculum, die in früheren Romanen noch häufiger vorkommen). Die Gestalten bewegen sich durch das vorzugsweise nächtliche Rom (das dabei praktisch menschenleer erscheint, bis auf die Helden und Bösewichte) wie mit dem Auto. Überhaupt wirkt die Welt der Stöver-Romane viel zu modern (dies genauer zu erläutern, müßte aber einer Betrachtung weiterer Werke des Autors vorbehalten bleiben). Schließlich gehen dem Autor auch die Tageszeiten durcheinander; so ist es S. 183 "noch früh am Tage", während S. 169 (eindeutig am selben Tag) bereits "die siebte Stunde" erreicht war und S. 184 die "zehnte Stunde". Bei all dem verwundert nicht, daß von den S. 44 für den 17. Dezember angekündigten Saturnalien im weiteren Verlauf nicht mehr die Rede ist.

Stilistisch ist der Roman äußerst anspruchslos. Nicht einmal der Großsprecher Alexander erreicht hier die sonst gewohnte Form seiner barocken Redewendungen. Freilich verwendet er immer noch deutsche Sprichwörter (S. 55) und Bibelzitate (S. 87-88). Die Angabe des Cornificius, daß die "Germanen" die Pflanze Aconitum Eisenhut nennen, ist entweder ein schlechter Scherz oder der mißglückte Versuch, eine der (immer noch recht zahlreichen) Fußnoten zu ersetzen.

Vom historischen Standpunkt aus ist dagegen relativ wenig zu kritisieren, weil einfach die Substanz fehlt. Doch lautet das Cognomen von Hortensius nicht "Hortalis", sondern Hortalus, und Feinschmeckerlokale wie das S. 85-86 geschilderte gab es in der Antike nicht. Die Atmosphäre der letzten Wochen unmittelbar vor Ausbruch des Bürgerkrieges, die wir z. B. durch die Briefe Ciceros so unmittelbar fassen können, bleibt vollkommen vage. Die ganz seltenen Hinweise erlauben einem nicht vorinformierten Leser nicht, die historische Situation einzuordnen. An der einzigen Stelle, wo die berühmte "Rechtsfrage" zur Sprache kommt (S. 83), bleibt sie praktisch unverständlich. (Zu einem astronomischen Versehen siehe den Anhang.)

Kurz zusammengefaßt: Der Roman wirkt wie eine lustlose Pflichtaufgabe, die er vielleicht tatsächlich war. Stövers Vertrag mit dem Verlag war danach jedenfalls beendet, und der Leser wurde vor weiteren C.V.T.-Krimis bewahrt. Rätselhaft freilich sind die in diesem Roman wie in einigen früheren auftretenden Hinweise auf spätere Ereignisse (so im Personenverzeichnis am Anfang und ganz zum Schluß, S. 248), die es nahelegen, daß Stöver doch eine Fortsetzung im Auge hatte. In dieser Art hat er sie zum Glück bisher nicht mehr versucht. (Freilich greifen die Jugendbücher der "Quintus"-Reihe das Personal wieder auf und setzen auch chronologisch die C.V.T-Romane fort.)

Anhang

Beim ersten nächtlichen Ausflug nach Transtiberim soll abnehmender Mond sein (S. 139), dessen schmale Sichel denn auch am Himmel steht (S. 141-142). Dies soll sich laut Stöver (S. 139, Anmerkung) einen Tag vor Neumond ereignen.

Doch kurz vor Neumond kann man am Abend den Mond nicht mehr sehen; er geht erst kurz vor der Sonne auf. Und stimmt es überhaupt, wenn Stöver behauptet: "Am 17. Dezember 50 war Neumond"? Ja und nein: astronomische Berechnungen zeigen zwar tatsächlich, daß an diesem Datum Neumond war (am 17.12.50 v. Chr. [iulianisch] ging der Mond etwa 40 Minuten vor der Sonne auf, nachdem er am Vortag etwa eine Stunde vor ihr untergegangen war), aber nur nach der iulianischen Ära, die bekanntlich erst fünf Jahre nach der Handlung des Romans eingeführt wurde, während zur Zeit der Geschichte noch große Verschiebungen zwischen Kalender und natürlicher Jahreszeit bestanden. Es war eher noch Herbst als beginnender Winter; der genaue Tag (und damit auch die Mondphase) läßt sich nicht bestimmen.