Gottfried Schwab

Tisiphone : eine Geschichte aus dem Dekumatenlande

Stuttgart : Bonz, 1888.

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Inhalt

In Baiae verschwindet die reiche Lebedame Licinia bei einer nächtlichen Bootfahrt. Es deutet alles darauf hin, daß sie und ihr neuer Liebhaber umgebracht wurden.

Nachdem sein leichtlebiger ältester Sohn bei einem Gelage erstochen wurde, verläßt der vornehme Titus Clodius angewidert Rom und zieht sich auf ein Landgut zurück. Sein jüngerer Sohn Publius möchte dagegen die Welt sehen und sich zum Militär melden, was Clodius schließlich zugesteht. Doch auf dem Weg zur Einschiffung nach dem Osten verschwindet Publius. Clodius reist ihm nach Baiae nach und muß dort erfahren, daß sein Sohn als Liebhaber und mutmaßlicher Mörder der Licinia umgekommen ist.

Auf der Straße von Lupodunum nach Moguntiacum, im von den Alamannen heimgesuchten rechtsrheinischen Gebiet, reist ein Zug von Reitern und Soldaten mit einem Reisewagen, in dem sich eine Frau befindet, die mit der Reiseroute nicht einverstanden ist und sich bei einem jungen Mann beschwert, der neben dem Wagen reitet. Sie will einen Sklaven auspeitschen lassen, als der einen Hund entkommen läßt, den man in einer verlassenen Herberge gefunden hat. Ihr Begleiter kann sie davon abbringen. Vor dem Zug wird ein Mann in germanischer Tracht gesehen, der sich aber in die Büsche schlägt, als zwei Reiter ihn fangen sollen. Er hat nur ein Auge und ist überrascht, als er die Stimme der Frau hört, bevor er in sein Heim zurückkehrt.

Der Einäugige ist der ehemalige Centurio Sekundus, der sich mit seinem Freigelassenen Erk und einigen Sklaven nach seiner Verwundung in einem ehemaligen Castell rechts des Rheins niederließ. Sie richten den verwilderten und abgelegenen Ort in harter Arbeit wieder her. Nach einem Jahr macht sich Sekundus allein auf den Weg nach Süden. Als er wieder zurückkehrt, hat er seinen jungen Bruder Perigenes bei sich und dessen ehemaligen Erzieher Callimachus. Dieser entdeckt, daß ein Portraitkopf, den Sekundus im Haus gefunden hat, eine unheilvolle Büste der Tisiphone ist. Während Perigenes und Sekundus guter Dinge sind, wird Callimachus immer unzufriedener.

Auch Callimachus, der jetzt als Schweinehirt beschäftigt wird, hat wie Sekundus die Frau im Reisewagen erkannt. Er ergreift die Gelegenheit, mit Erk nach Moguntiacum zu gehen, als Sekundus sich erkundigen will, ob der Krieg mit den Germanen wirklich durch Geldzahlungen schimpflich beendet wurde.

In Moguntiacum sucht Callimachus den Palast auf und läßt sich zu der Frau bringen, seiner ehemaligen Herrin aus Baiae. Er hofft, daß sie sein eintöniges Schicksal beendet, doch sie kündigt vielmehr an, selbst in die Waldeinsamkeit zu gehen. In einer Schenke (in der unzufriedene Soldaten sitzen) betrinken sich Callimachus und Erk, bis der Germane den Griechen wieder nach Hause bringt.

Die Frau stößt im Wald auf Perigenes, der sie an jemanden erinnert. Er bringt sie ins Haus. Als Sekundus kommt, ist er erschüttert: die Frau ist Licinia, die er für tot gehalten hat. Auch sie erkennt ihn als Publius, den Mann, der sie in Baiae fast getötet hätte, wenn nicht jemand sie aus dem Wasser gefischt und gerettet hätte: der Caesar. Licinia nimmt ihn vor Vorwürfen in Schutz und sagt, daß sie ihn verlassen hat, um ihn vor übler Nachrede zu bewahren. Sekundus jagt sie gegen ihren Widerstand wieder fort. Licinia begegnet Callimachus und macht ihm Vorwürfe, sie hierhergelockt zu haben, doch er bestreitet, die Identität von Sekundus gekannt zu haben. Sie befiehlt ihm, den Haushund zu vergiften, so wie er einst Publius vergiftet hat.

Publius Sekundus erzählt seinem Bruder, was damals in Baiae geschah: Licinia lockte ihn in ihr Haus und umgarnte ihn, doch dann verstieß sie ihn. Einer seiner Sklaven starb an dem für Publius bestimmten Gift. Publius ließ sich von einem Fischer zu Licinias Boot auf dem Meer bringen. Dort kam es zu einem Kampf, bei dem beide über Bord gingen. Publius konnte sich an Land retten, mußte aber eine Mordanklage befürchten und fuhr auf einem Schiff nach Massilia, von dort nach Moguntiacum.

Auf Erks Vorschlag planen die beiden Brüder, sich vor Licinias Nachstellungen zu den Germanen zu flüchten. In der Nacht vergiftet Callimachus den Hund und flieht. Am nächsten Morgen will Perigenes ein fliehendes Pferd einfangen, kehrt aber nicht zurück. Erk läuft ihm nach. Als Sekundus Kampfgeräusche hört, ist es zu spät: sein Bruder ist tot, Erk liegt im Sterben, beide von Pfeilen getroffen. Zwei sarmatische Reiter kehren nach Moguntiacum zurück.

Sekundus hat die traurige Pflicht, seinen Bruder und den treuen Erk zu bestatten. Er reitet nach Moguntiacum, um an Licinia Rache zu nehmen. Auch der Fährmann, der ihn über den Rhein setzt, hat unter der Frau gelitten, denn Licinia ließ seinen Sohn zu Tode prügeln. In Moguntiacum hat das Heer unter Führung des Thrakers Maximinius den Kaiser beseitigt. Sekundus findet Licinia nur noch tot vor, in ihr eigenes Schwert gestürzt. Er kehrt auf den Hof zurück und besorgt einen Grabstein für Perigenes. Dann stirbt er selbst.

Das Römerreich zerbrach, aber der Grabstein bewahrt Kunde vom Schicksal des Perigenes.

"Vom Germanen Erk sagt das Denkmal nichts. ... Aber dennoch wurde uns Kunde von ihm. Die junge Eiche, die sein edles Herzblut getrunken, hat sie wohl bewahrt. Und sie erzählte es den Schößlingen, die unter ihrem Schutze aufkeimten, und diese wieder dem nachsprossenden Geschlechte; nun singt und sagt es der ganze Wald. Wollt ihr's selbst einmal dort vernehmen? Geht nur hinaus, besonders ihr, die ihr nichts mehr wißt von Schmach und Elend unter fremder Gewaltherrschaft! Geht nur hinaus und hört, wie das rauscht und mahnt von deutschem Opfermut und Heldentod - freilich müßt ihr die Sprache der Bäume verstehen." (S. 208, Schluß)

Bewertung

Besonders das in der Inhaltsangabe ausführlich zitierte Ende der Geschichte weist eine deutliche Zeitgebundenheit auf. Der Appell, im deutschen Geiste und unter Berufung auf den deutschen Wald (!) sich der welschen Fremdherrschaft zu widersetzen, kommt freilich etwas überraschend, nachdem die vorangehende Geschichte kaum politisch-ideologisch gefärbt war. Sie ist sehr konventionell erzählt, ohne besonders anschaulich oder spannend zu werden. Besonders am Anfang fällt eine sprunghafte Erzählweise auf; die ersten vier Kapitel setzen jeweils neu an, und ein Zusammenhang ist zunächst nicht erkennbar. Sobald dieser freilich offenbar wird, ist die Handlung in weiten Strecken vorhersehbar.

Den historischen Hintergrund bildet der Alamannenfeldzug des Alexander Severus, der tragisch endete, als der Kaiser von seinen Soldaten getötet wurde. Schwab hält sich brav an die zu seiner Zeit noch als durchaus glaubhaft geltende Historia Augusta (auch wenn er den Namen des Kaisers gar nicht nennt), ohne die Ereignisse breiter auszumalen. Auch gibt es wenig konkreten Lokalbezug, obwohl ein archäologisches Zeugnis, ein Grabstein mit Inschrift aus Darmstadt, den Anlaß für die Geschichte gegeben hat (CIL 13, 6429):

hic int[er]
[fece]re latrones
[qu]em genuit Tea-
[n]o Sidicino ex Cam
pania altera con-
texit tellus dedit
altera nasci Peri-
genes habet titulum
Secundus officium
P(ublius) Clod(ius) Secundus
fratri pientissimo

Erzählweise und Sprache sind ebenfalls typisch für die wilhelminische Epoche. Man merkt dem Autor die seinerzeit noch selbstverständliche klassische Bildung an, und zudem gibt es die für den "Professorenroman" der Zeit typischen Fußnoten mit Hinweisen auf antike Gebräuche und Belegstellen dafür, wenn auch in nicht allzu großer Zahl.