Irene Ruttmann

Titus kommt nicht alle Tage

Hamburg : Oetinger, 1980.
München : dtv, 7. Aufl. 1995

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Inhalt

Der Lateinlehrer Agricola macht mit seiner 6. Klasse einen Unterrichtsgang zum rekonstruierten Limeskastell vor der Stadt. Der Schüler Sven folgt einer Fußspur im frisch gefallenen Schnee und findet in einer der Mannschaftsbaracken einen römisch gekleideten Jungen, der sich ihm und seiner hinzugekommenen Mitschülerin Julia als Titus Gaius Lentulus vorstellt und erzählt, daß er im römischen Dorf vor dem Kastell wohnt und sein Erscheinen etwas mit einer Wurzel Laserpicium zu tun hat. Bevor Julia und Sven ihm weitere Fragen stellen können, müssen sie mit den anderen zurückfahren.

Sven und Julia kehren mit ihren Freunden Sabine und Leo am nächsten Tag zum Kastell zurück, um zu sehen, ob Titus noch dort ist. Sie finden ihn nicht, aber später hat Julia die Idee, daß Titus vielleicht nur einmal die Woche erscheint.

Tatsächlich ist er nach Ablauf von sieben Tagen wieder da, als die vier am nächsten Dienstag zum Kastell fahren, und erzählt, daß sein Vater Wirt und Koch im Rasthaus vor dem Lager war. Als Julia ihn an der Hand berührt, ist Titus auf einmal verschwunden, erscheint kurz danach aber wieder. Er gibt ihr als Entschädigung für den Schrecken eine Münze mit dem Bild seines Kaisers Antoninus Pius. Die Kinder fahren zurück und finden mit einem Lexikon heraus, wann dieser Kaiser gelebt hat.

Julia zeigt die Münze herum, so daß Agricola und von ihm ihr Vater davon erfahren. Sven unterhält sich mit dem italienischen Jungen Gino aus seinem Haus, der aus Rom stammt, wie sich herausstellt. Am Dienstag treffen die vier sich wieder mit Titus und verabreden, ihn in der folgenden Woche an Fasching mit in die Stadt zu nehmen; sonst gibt es dafür keine Gelegenheit, da sie Titus nicht verkleiden können.

Im Faschingstrubel fällt Titus im Autobus in die Stadt nicht weiter auf. Als er einen Spielplatz mit der Nachbildung eines römischen Wachturms sieht, bringt er auf geheimnisvolle Weise den Bus zum Halten, um nachzusehen, ob dort nicht doch noch Römer seien. Auch später bewirkt Titus noch weitere seltsame Ereignisse mit Hilfe des Laserpiciums; als einige Mitschüler von Julia und Sven sich über Titus lustig machen wollen, läßt er sie in Niesen ausbrechen, und er sorgt dafür, daß Gino und seine Schwester an allen Menschen vorbei an den Weg des Faschingsumzugs gehen können. Außerdem unterhält sich Titus in fließendem Latein mit dem verblüfften Agricola und fährt am Abend allein zum Kastell zurück.

In der nächsten Woche trifft Titus sich mit seinen Freunden vor dem Lager, wo er ein kostbares Glasgefäß wiedergefunden hat, das einst der Praefect seiner Schwester aus Köln mitgebracht hatte. Er hat auch gesehen, daß in einem dort stehenden Bauwagen ein Gaskocher ist, und will beim nächsten Mal ein römisches Mahl kochen. Ein unfreundlicher Mann mit Hund erscheint und verscheucht die Kinder (Titus ist verschwunden); Sabine schafft es aber, daß er das Glas nicht bemerkt, das sie mit nach Hause nimmt.

Unvorsichtigerweise erzählt Sabine ihrem Bruder Peter von dem Glas, als sie ihn anpumpen will. Peter kann den Mund ebenfalls nicht halten, und so wollen zwei zwielichtige Gestalten, Hugo und Wolf, Sabine das Glas abkaufen. Sie hat es inzwischen zu Leo gebracht, doch befürchten sie und Julia, daß die beiden Kerle dort ebenfalls auftauchen könnten.

Die Kinder überlegen kurzzeitig, ob sie das Glas nicht tatsächlich verkaufen sollten, aber als sie bemerken, daß Hugo und Wolf ihnen zusammen mit dem Mann vom Bauwagen auflauern, wollen sie ihnen nicht nachgeben. Sie beschließen, das Glas ins Kastellmuseum zu bringen; damit die drei Typen nichts davon merken, soll Gino ihnen helfen. Es gibt zwar noch ein paar Schwierigkeiten, aber schließlich gelingt es den Kindern doch, das Glas zum Direktor des Museums zu bringen, dem sie natürlich nicht erzählen können, woher sie es haben.

Nach dieser aufregenden Sache finden die vier endlich Zeit, die Zutaten für das Essen zu besorgen, die Titus ihnen aufgetragen hat. Im Bauwagen bereitet der junge Römer ihnen am nächsten Dienstag Huhn auf numidische Art, alexandrinischen Kürbis und in Öl geröstetes Brot.

Die Zeitungen haben von dem Fund erfahren und bringen Berichte, in denen besonders Gino als "moderner Römer" hervorgehoben wird. Als die vier Kinder am folgenden Dienstag wieder zum Kastell fahren, finden sie Titus nicht und verstehen dann, daß er nicht mehr kommen wird, wohl weil er schon siebenmal erschienen ist. Als kleinen Trost nehmen sie aber, daß bei Ausgrabungen ein Mosaik gefunden wurde, genau wie Titus es ihnen beschrieben hat.

Bewertung

Auf recht geschickte Art gelingt es der Autorin, die Sachinformationen in den Erzählzusammenhang so einzubinden, daß sie kaum einmal als störend empfunden werden. Damit setzt sie sich vorteilhaft von den im selben Verlag erschienenen Jugendbüchern eines H. D. Stöver ab, dem sie auch in der sprachlichen Gestaltung weit überlegen ist. Der Kunstgriff mit dem in unsere Zeit versetzten Römer erlaubt es Ruttmann, Informationen "aus erster Hand" unaufdringlich zu präsentieren. Nur weniges wirkt davon überzogen, so vielleicht die mythologischen Auskünfte über Hercules oder den Raub der Sabinerinnen, die Titus gibt. Lobenswert ist auch, daß die Autorin andeutet, daß unsere auf "herkömmlichem" Weg gewonnenen Erkenntnisse über die Antike nicht über jeden Zweifel erhaben sind: So hält der Museumsassistent einen Gegenstand auf dem neugefundenen Mosaik für "eine Art Zwiebel", während die Kinder wissen, daß es eine Dattel ist.

Die historischen und archäologischen Sachinformationen sind durchweg zutreffend, wenn man kindgerechte Vereinfachungen berücksichtigt. Nur "Titus Gaius Lentulus" ist kein normal gebildeter römischer Name. Im Anhang ("Für den, der mehr wissen möchte") gibt es weitere kurze Erläuterungen zu einigen angesprochenen Themen; sie hätten vielleicht sogar noch etwas ausführlicher ausfallen können.

Titus' Erscheinen und Verschwinden bleibt in vielen Einzelheiten unerklärt, was aber im Zusammenhang der Geschichte kaum stört. (Wundern kann man sich freilich schon darüber, daß er sich mit den Kindern problemlos unterhalten kann, in Deutsch also.)

Die Nebenhandlung mit den Ganoven, die den Kindern das Glas abnehmen wollen, fällt gegenüber dem Rest der Geschichte etwas ab; während die jugendlichen Protagonisten liebevoll und mit jeweils einer eigenen Persönlichkeit gezeichnet sind, wirken die "Bösewichter" recht flach.

Geschildert wird eindeutig das Saalburg-Kastell bei Bad Homburg im Taunus, ohne daß es jedoch beim Namen genannt wird (der Anhang und der Klappentext der Taschenbuchausgabe geben freilich entsprechende Hinweise). Die mehrfache Nennung der Nidda bestätigt die Identifizierung.

Weitere Meinungen

Georg Veit, Der Altsprachliche Unterricht 31 (1988), Heft 4, S. 78:

" 'Das Buch ist spannend und gut erzählt', war der Kommentar eines Zwölfjährigen. Spannend - wohl nicht auf reißerische Art, aber auf eine sympathische Weise fesselnd; gut erzählt - d. h. klar strukturiert, in Satzbau wie Vokabular leicht verständlich, in den Dialogen vorsichtig an die Umgangsprache angepaßt. Die Umwelt der Kinder ist sehr einfühlsam und realitätsnah herausgearbeitet, und die Mädchen und Jungen sind als Abenteuergruppe hinreichend profiliert. Die Mädchen spielen dabei keine passive oder ängstliche Rolle (wie in so manchem Lateinbuch!), sondern sind z. B. clevere Retter in einer der gefährlichsten Situationen (S. 85 f.). Fachkollegen werden die Zeichnung des Lateinlehrers sympathisch finden, ebenso die Anspielungen und Erläuterungen, wie die gewähltere Sprache des Titus. 'Man lernt über die Römer, ohne sich zu langweilen', meinte eine Dreizehnjährige. Doch wird das Buch von vielen Schülern auch völlig ohne diesen Effekt und diese Einsicht mit Genuß gelesen. Falls jemand eine Lernwirkung fordert, so mag er sich damit begnügen, daß mittlerweise jedes außerschulische Auftauchen von Römern ein Gewinn für die Alten Sprachen ist. [...]

Dieses Buch ist es wert, vom Geheimtip zur selbstverständlichen Empfehlung der Kollegen für Lateinbeginner der 5. oder 7. Klassen zu avancieren."