Hans Müller-Einigen

Der Spiegel der Agrippina

Bern : Francke, 1941

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Inhalt

Mit Seneca und Acte ist Nero in seiner Villa in Bajae, als er die Botschaft vom Tod seiner Mutter Agrippina erhält. Dem bestürzten Seneca verrät er, daß er selbst ihren Tod verursacht hat. Nero besieht die Leiche Agrippinas und nimmt den Spiegel, den sie im Tod umklammert hält. Mit seinen Freunden geht Nero nach Neapel, doch nachdem er bei einem Ausflug mit der angebeteten Poppaea im Spiegel sein gieriges Antlitz gesehen hat, kehrt er nach Rom zurück. Beim Einzug dort zeigt der Spiegel ihm sein Gesicht als heuchelnder Herrscher und verschleiert sich später ganz, als Nero allein ist. Der Kaiser ist begierig, das Geheimnis des Spiegels zu erkunden. Er befragt Seneca und findet mit Hilfe eines jüdischen Sklaven heraus, daß der Spiegel eine chaldäische Inschrift trägt: "Der du mich hast, sieh in mich. Du siehst, wie sie dich sehen. Sieh in dich." Seneca versucht, den Spruch auszudeuten und den Kaiser zu entsprechendem Verhalten zu bewegen.

Von nun an wird Nero nicht müde, mit dem Spiegel zu erkunden, wie die anderen Menschen ihn sehen. Doch als er einen christlichen Gefangenen bemerkt, der noch in Ketten zu schreiben versucht, und bemerkt, daß der Spiegel überhaupt kein Bild zeigt, dieser "Apostel" Schaulus ihn also überhaupt nicht wahrnimmt, ist er verblüfft. Als Nero bei den Saturnalien als Schauspieler auftritt, muß er erkennen, daß das Volk ihn auslacht. Auf Vorschlag der Poppaea, die ihn schließlich erhört hat, verzichtet er darauf, den Spiegel ständig mit sich herumzutragen.

Doch der geistige Zustand des Kaisers wird immer labiler. Zuerst versucht er noch, große Bauprojekte in Gang zu bringen. Dann sucht er die Bettler Roms auf. Doch schließlich ist er zu zielgerichteten Handlungen nicht mehr in der Lage. Als eine nubische Gesandtschaft eintritt, die der als Kaiser verkleidete Otho empfangen soll, reißt Nero sich wieder aus seiner Lethargie. Er umgibt sich mit neuen Freunden und stürzt sich verkleidet in die Vergnügungen der Massen, doch als man ihn auch dort erkennt, bricht er wieder zusammen.

Allmählich erholt sich Nero in der Zurückgezogenheit Sinuessas wieder, zumal nachdem er Seneca und den jüdischen Sklaven hinrichten läßt. Auch Schaulus/Paulus läßt er umbringen und kehrt nach Rom zurück. Seine Schreckensherrschaft kulminiert darin, daß er Rom in Brand setzen läßt. Nero will sich damit den Unsterblichen gleichsetzen, doch vergeblich. Zur selben Zeit wird in Korinth ein Brief des Paulus gelesen, in dem er die Macht der Liebe beschwört.

Bewertung

Obwohl Müller-Einigen zahlreiche verbürgte und bekannte Einzelheiten über Nero und seine Zeit verwendet, zeichnet er doch ein eher ahistorisches Bild dieses Herrschers. Vor allem die Chronologie der Ereignisse wird den Absichten des Autors angepaßt, der alles im Brand Roms kulminieren läßt. Es kam ihm ganz offensichtlich nicht darauf an, den tatsächlichen Nero zu schildern, sondern das idealtypische Bild des von keiner Tugend gemäßigten Herrschers, dessen eigenes Bild so schwankt wie das vom Spiegel der Agrippina wiedergegebene. Er verwendet dabei eine teilweise sehr stilisierte Diktion.

In einem recht konventionellen Zug stellt Müller-Einigen dem das Christentum gegenüber, vor allem die Verkündigung der Macht der Liebe im 1. Korintherbrief des Paulus, mit der das nicht ganz mit Recht "Novelle" genannte Werk endet. Einen näheren Bezug auf die Entstehungszeit gibt es trotz des Erscheinungsjahres 1941 nicht.