Waldtraut Lewin

Herr Lucius und sein Schwarzer Schwan

Berlin : Neues Leben, 1973
München : dtv, 1996

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Inhalt

1. Teil. "Teiche voll Lotos"

Der Römer Lucius erkennt in der Handschrift eines Epikur-Textes die seines ehemaligen Hauslehrers Auletes wieder und versucht, ihn ausfindig zu machen. Er findet ihn als Sklaven eines Kopisten und kauft ihn. Auletes war früher der Lustknabe von Lucius' Vater gewesen und nach seinem Verkauf Strichjunge unter einer Tiberbrücke. Lucius erinnert sich an früher und durchsucht den Nachlaß seines Vaters. Auletes behandelt seinen ehemaligen Zögling und jetzigen Herrn abweisend. Lucius erinnert sich, wie Auletes zu seiner eigenwilligen Tante Emilia, genannt Ursa, auf ihr Landgut gebracht wurde und wie einige Zeit später sein Vater unter unwürdigen Umständen starb. Lucius war damals schwer getroffen gewesen, als er von der Beziehung zwischen seinem Vater und seinem Lehrer erfuhr.

Auletes schließt eine Art Freundschaft mit dem von allen sonst verachteten Bibliothekar Ascanius. Und auch Lucius gegenüber taut Auletes ein wenig auf. Doch dann kommt Lucius' Verlobte Caelia zu Besuch, ein arrogantes Mädchen aus bester Gesellschaft, und macht eine unbedachte Bemerkung über Auletes' mutmaßliche Qualitäten im Bett. Lucius unterhält sich mit Auletes über Möglichkeiten, Sklaven humaner zu behandeln, nimmt aber auf Anraten seines Verwalters wieder davon Abstand, seine Weinbergsklaven von ihren Ketten zu lösen.

Auletes, den die Sklaven-Familia nicht als einen der ihrigen akzeptiert, trifft eine junge germanische Sklavin. Dann kommt Emilia zu Besuch, und als Auletes ihr begegnet, fragt er sie in Anwesenheit mehrerer Sklaven, ob sie einen Nachfolger für ihn gefunden habe, der ihm in Liebesdingen gleichkomme. Emilia reist sofort wieder ab, und Lucius ist schockiert. Auletes muß sich öffentlich für seinen ungeheuerlichen Ausspruch entschuldigen, und Lucius läßt ihn mit zwanzig Hieben bestrafen. Jetzt endlich nehmen die anderen Sklaven, darunter die Germanin Flavilla, ihn in ihre Gemeinschaft auf.

2. Teil: "Saturnalien"

Lucius muß es akzeptieren, daß sich Auletes endgültig von ihm abwendet. Dieser bringt Flavilla Lesen und Schreiben bei und erfährt von ihr, daß sie, als sie von Germanien nach Rom gebracht wurde, von einem mitgefangenen Gladiator ein geheimnisvolles Papier erhalten hat. Auletes erschrickt, als er es liest, und verrät Flavilla nur widerwillig, daß es von einer Verschwörung handelt. Er will es sofort vernichten, sie bringt ihn aber davon ab.

Auf dem Zettel wird eine Adresse genannt, die Auletes aufsucht. Dort trägt man ihm auf, seine Familia vorzubereiten. Auletes tut dies, zuerst skeptisch, dann immer intensiver, in einer Abendakademie, zu der er eine wachsende Zahl von Haussklaven um sich versammelt, um bei ihnen allmählich ein Bewußtsein für ihre Lage und die Möglichkeit, sie zu verändern, zu entwickeln. Von den Verschwörern hört Auletes nur einmal, als er eine rätselhafte Botschaft weitergibt.

Flavilla fühlt sich nachts allein und kommt schutzsuchend zu Auletes. Als sie sich in sein Bett legt, vergewaltigt er sie und schämt sich sofort danach sehr. Flavilla nimmt es nicht übel, und Auletes schläft noch einmal auf sanftere Art mit ihr. Doch verabredet er mit ihr, daß sie dies zukünftig nicht mehr tun wollen. Von den Verschwörern ist jetzt wieder etwas zu hören, aber nichts Entscheidendes.

Als Lucius hört, daß ein verstorbener Sammler in Capua ein seltenes Manuscript des Herondas hinterlassen hat, schickt er Auletes hin, um es für ihn zu kaufen. Auletes erfüllt den Auftrag erwartungsgemäß und wird bei seiner Rückkehr von der ganzen Familia begrüßt. Lucius hat während seiner Abwesenheit entdeckt, daß Auletes die Schriften des Sozialrevolutionärs Blossius liest.

Die Badesklavin Lalage, mit der Lucius gelegentlich schläft, ist schwanger. Sie möchte das Kind gern behalten, doch Lucius und sein Verwalter lehnen ab. Daraufhin versucht Lalage, das Kind abzutreiben, und stirbt dabei. Auletes konfrontiert Lucius barsch mit dem Vorfall. Die Familia hat aus dem Nachbarhaus einen Arztsklaven geholt, der aber nichts mehr ausrichten kann. Auletes kann die Familia davon abbringen, sofort gegen den Herrn vorzugehen.

Nach einem Gespräch mit Auletes reist Lucius an den Saturnalien zu Emilia. Doch auch bei ihr findet er nicht den Trost, den er sucht. In seinem Haus in Rom feiern unterdessen die Sklaven die Saturnalien. Auletes und Flavilla schlafen wieder miteinander. Am nächsten Tag gehen sie gemeinsam in die Stadt.

Auf der Rückreise von Emilia trifft Lucius einen Offizier, der ihm berichtet, wie sich in Campanien Gladiatoren und Sklaven erhoben haben. Sie konnten sich erfolgreich gegen eine römische Kohorte zur Wehr setzen und haben sich am Vesuv verschanzt.

3. Teil "Wunschhaftes Intermezzo"

Auletes hat eine Wunschvorstellung, wie er zusammen mit anderen befreiten Sklaven eine Fischsuppe kocht und dabei eine Geschichte erzählt, wie er von einem früheren Herrn gezwungen wurde, zum ersten Mal in seinem Leben eine Fischsuppe zuzubereiten; er holte sich dafür die Hilfe einer benachbart wohnenden Hure, mit der zusammen er vor der Rückkehr seines Herrn von der Suppe aß; die benagten Knochen des Fischkopfes warf er für den Herrn wieder in den Topf zurück.

4. Teil "In Höhlen zu wohnen"

Nach seiner Rückkehr sucht Lucius seine Verlobte Caelia auf, die ihn zusammen mit ihrer Freundin Clodia eher spöttisch behandelt, so daß Lucius eine beginnende Erkältung als Hexerei der beiden Frauen empfindet, die ihn in einen Specht verwandeln soll. Seine zeitweilige Erkrankung führt dazu, daß keine scharfen Maßnahmen gegen die aufmüpfigen Sklaven getroffen werden; Auletes kann Flavilla sogar offiziell als seine Helferin zu sich nehmen.

Trotz der Bedenken der anderen weiht Auletes den Bibliothekar Ascanius ein. Dieser versucht verwirrt, die Sache dem Herrn zu beichten. Auletes kann Lucius mit Mühe davon überzeugen, daß es für den Frieden des Hauses besser ist, wenn er solchen Anschuldigungen nicht glaubt, und ihm die Tafel mit Ascanius' Geständnis abnehmen. Der Bibliothekar nimmt sich das Leben, und Auletes will von seiner Führungsrolle zurücktreten, fügt sich aber dem Wunsch der anderen.

In einem Baumhaus, in das er sich jetzt öfter zurückzieht, versucht Lucius, sich Auletes zu nähern, was dieser mit Mühe zurückweisen kann. Die Verschwörer sind gezwungen, mit "Banditen" Geschäfte zu machen, deren Abgesandter die Verhandlungen nur führen will, wenn Auletes ihm zu Willen ist wie früher unter der Tiberbrücke. Gegen den Protest Flavillas geht Auletes darauf ein und erreicht tatsächlich ein Abkommen.

Zunehmende Erfolge der Gladiatoren in Campanien machen die Lage im Haus des Lucius allmählich kritisch. Grotten im Nachbarhaus dienen als Umschlaglager für die Waffenlieferungen der Banditen und müssen nachts bewacht werden, bis sie abgeholt werden. Flavilla übernimmt dies, auch wenn sie sich im Dunkeln fürchtet, und beschließt, möglichst bald zu den Aufständischen zu gehen. Das tut sie auch, als das Sklavenheer Richtung Rom vorrückt, und verabschiedet sich von Auletes, der nach ihrer Flucht von Lucius zur Rede gestellt wird, mit seinem ehemaligen Schüler aber leicht fertig wird.

Als Lucius erfährt, daß Auletes der Geliebte Flavillas war, wird er in seiner Eifersucht zum echten Römer und droht Auletes eine Bestrafung an, doch da kommt eine Botschaft von Emilia, die vor ihren aufständischen Sklaven geflohen ist. Lucius eilt ihr sofort entgegen, und die Sklaven haben das Haus für sich, auch wenn sie die zu Besuch kommende Caelia überwältigen müssen. Dabei wird der Wagenlenker verletzt, der ein Gespann mit Waffen nach Teanum bringen sollte. Caelia, die eine geübte Wagenlenkerin ist und im Circus auftreten würde, wenn es ihr Stand nicht verbieten würde, bietet an, für ihn einzuspringen, und die Sklaven müssen notgedrungen zustimmen. Auletes soll sie begleiten. Caelia genießt ihre Aufgabe und versucht, Auletes zu Zärtlichkeiten zu bewegen, die er aber zurückweist. Als sie Teanum erreichen, ist es von Römern umzingelt, doch Auletes weiß einen Schleichweg zu den Aufständischen. Caelia läßt sich bewegen, diesen zu fahren, und man erreicht auf abenteuerliche Weise das Ziel. Während die ehemaligen Sklaven mit den neu angekommenen Waffen gegen die Römer vorgehen, fährt Caelia wieder zurück, Auletes einen letzten Hieb mit der Peitsche versetzend, was er hinnimmt.

Bewertung

Lewins Auffassung vom alten Rom orientiert sich am klassisch-marxistischen Bild der Sklavenhaltergesellschaft, dem alle anderen Aspekte untergeordnet sind. Dementsprechend fällt alles sehr klar und eindeutig aus: die Römer (und nur die Römer!) sind sklavenhaltende Ungeheuer, denen eine ungeheure Masse von Unterworfenen und Geknechteten gegenübersteht, die sich sofort erheben, wenn sie sich ihrer Lage bewußt geworden sind. Diese Dichotomie zwischen Sklavenhaltern und Sklaven wird nur sehr wenig differenziert. Die ganze Figur des Lucius dient nur einer impliziten politischen Botschaft: wenn schon ein sich human gebender und von vielen Skrupeln geplagter Sklavenhalter wie Lucius gegenüber seinen Sklaven im Endeffekt so gleichgültig war, wie muß es dann erst bei den anderen gewesen sein?

Unter diesen Voraussetzungen braucht die Autorin sich natürlich nicht um historische Tatsachen zu kümmern. Sie schildert eine Sklavensolidarität, die es in dieser Form in der Antike nicht gegeben hat, gerade auch beim Spartacusaufstand nicht. Wie ein leninistisch ausgebildeter Politkommissar oder Parteifunktionär schult Auletes seine Mitsklaven, bis sie das nötige Klassenbewußtsein besitzen, und verhält sich auch sonst wie aus einem Lehrbuch für Berufsrevolutionäre. Es ist nicht belegt, daß die aufständischen Sklaven über eine so verzweigte Organisation verfügten, die sich bis nach Rom erstreckte. Daß es in der Mentalität von Haus- und Feldsklaven sehr große Unterschiede gab, wird von Lewin systematisch verschleiert. Der Name des Spartacus fällt übrigens kein einziges Mal.

Dabei ist das Buch als literarisches Werk durchaus gelungen: vor allem Auletes ist eine recht komplexe Persönlichkeit, die glaubhaft dargestellt wird. Sein Verhalten in den verschiedenen Situationen, seine Beziehung zu Flavilla (die partienweise ähnlich viel Kontur bekommt und Hauptfigur des 2. Bandes der Trilogie ist), seine Selbstreflexion als Intellektueller, all dies ist überzeugend und würde das Buch wirklich lesenswert machen, wenn nicht ständig die sozialistische Vorstellung von der Geschichte als einer Abfolge von Klassenkämpfen dahinterstehen würde. (Lewin vermeidet übrigens durchaus drastische Aktualisierungen, auch gerade bei den Formulierungen; das Wort "Klasse" wird nicht benutzt, was die Sache nur noch infamer macht, weil die politische Botschaft versteckt ist.)

Auch erzähltechnisch ist der Roman geschickt gestaltet. Ständig überschneiden sich mehrere Perspektiven, die des Lucius (der ebenfalls eine durchaus differenzierte Persönlichkeit wäre, wenn er nicht einem so offensichtlichen Ziel dienen müßte), des Auletes, der Familia, später dann auch die Flavillas, die mitunter im selben Absatz wechseln.

In den Realien ist das Buch nicht immer ganz zuverlässig; unklar bleibt, ob dies teilweise bewußt in Kauf genommene Anachronismen wie bei Lewins großem Vorbild Feuchtwanger sind. Ich fürchte, es ist eher Unwissen der Autorin.

Zur Zeit der Geschichte gab es keine Bücher, die "zugeklappt" werden konnten (18; anderswo ist korrekterweise von Rollen die Rede). "Aldebaran" und "Atair" sind arabische Sternnamen (29; derselbe Fehler schon bei Wallace, Ben-Hur). "Emilia" ist keine reguläre Namensform, "C. Lentulus Licinius" (213) eine ungewöhnliche Reihenfolge. "Homonaia" gibt es im Griechischen ebensowenig wie "indegnus" (332) im Lateinischen; außerdem steht indignus erst im Spätlatein mit dem Dativ ("urbi"). Koordinatensysteme, in das sich Kurven einzeichnen lassen, gibt es erst seit Entwicklung der analytischen Geometrie im 17. Jahrhundert (329). Der orthographische Fehler "Bythinien" (6) findet sich auch im 2. Band, Die Ärztin von Lakros, (248).

Eine gewisse chronologische Verwirrung ist anzutreffen: die Geschichte spielt nicht "ein Jahrhundert" (42) nach den Gracchen, sondern nur etwa fünfzig Jahre später.

Fazit: anders als z. B. bei Feuchtwanger oder Stefan Heym überlagert eine linientreue Sicht der Geschichte im Sinne des Historischen Materialismus, dargestellt mit den Mitteln des Sozialistischen Realismus, die Geschichte so vollständig, daß sie trotz der offensichtlichen Gestaltungskunst der Autorin einen bitteren Beigeschmack bekommt. Die Parteinahme für die Unterdrückten ist eine noble Sache, aber auch im Gewande des historischen Romans sollte man sich zumindest an die wichtigsten belegten Tatsachen halten.